Die Fraktionen von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben am 8. November 2017 an das Abgeordnetenhaus den Antrag "Urban Gardening in der Stadt verwurzeln" gestellt, mit dem sie den Senat auffordern, (1) zusammen mit den Akteuren der urbanen Gärten, den Kleingartenverbänden und interessierten Verbänden in Berlin ein gesamtstädtisches Konzept für urbane, Klein- und interkulturelle Gärten zu entwickeln sowie (2) einen Ansprechpartner für Urban Gardening zu benennen. Dieser soll Ansprechperson für und Mittler zwischen Akteuren der urbanen Gärten in Berlin und der Berliner Verwaltung sein und die Verwaltung ressortübergreifend für das Thema „Urban Gardening“ sensibilisieren (siehe: https://www.parlament-berlin.de/ados/18/UmVerk/vorgang/uv18-0108-v.pdf).
Stellungnahme zu "Urban Gardening in der Stadt verwurzeln"
Am 18. Januar hat der Landesverband Berlin der Gartenfreunde e.V. in einer Anhörung des Ausschusses Umwelt, Verkehr, Klima wie folgt Stellung genommen:
Das Präsidium des Landesverbandes Berlin der Gartenfreunde e.V. unterstützt den Antrag, in der Erwartung der Zusammenführung und kooperativen Zusammenarbeit aller für das Stadtgrün Aktiven und den Verwaltungen in den Bezirken und im Senat. Die momentane „Kluft“ zwischen den Akteuren muss beseitigt und einer gesellschaftlichen Trennung entgegengewirkt werden. Dies erwarten wir auch von einer gemeinsamen Koordinierungsstelle.
Erläuterung
Es ist richtig, dass die als Urban Gardening titulierte gesellschaftliche Bewegung auch in Berlin zunimmt und eine wachsende sozialpolitische Bedeutung erlangt hat. Dies hat die verschiedensten Ursachen. Dazu muss man ihre Entstehungsgeschichte verstehen.
Die aktuelle Urban Gardening Bewegung ist Mitte der 1970er Jahre entstanden und war ein Ausdruck der extremen Unzufriedenheit der Bürger mit dem Zustand ihrer Städte. Besonders unter der Berücksichtigung von ökologischen Interessen bei der Stadtentwicklung und dem Zustand des öffentlichen Raums. Wie eine Bürgerinitiative, die sich ganz auf ein spezielles Anliegen konzentrierte. Vorwiegendes Anliegen war, die Stadt in Ordnung zu bringen und gesellschaftliche Fehlentwicklungen anzugreifen. „Ordnung“ hieß zu „begrünen“ und die „Vermüllung“ zu beseitigen.
Ausgangspunkt war also immer die Unzufriedenheit mit der Situation der Stadt und die auf Verbesserung bezogenen Aktionen. Daraus hat sich eine aktive Bürgerbewegung entwickelt.
Urban Gardening kann in der aktuellen Form keine langfristige, dauerhafte und nachhaltige städtische „Grün“-Wirkung beisteuern. Es lebt vom spontanen Interesse und Engagement der Akteure, wenn auch zweifellos in den letzten Jahren eine gewisse Beständigkeit und Stetigkeit eingetreten ist.
Bei kommunaler Grünplanung mit Garten und Landschafts-architektur, mit ästhetischen Aspekten der grünen Stadt-entwicklung oder hohen Nutzungsvielfalten und Angeboten für neue Gesellschaftsstrukturen oder gar mit der Hoffnung auf Einsparungen bei den kommunalen Grünflächenämtern kann Urban Gardening nur unterstützen und gesellschaft-liche Tendenzen aufzeigen.
Langfristige Planungs- und baurechtliche Absicherungsaspekte zum Beispiel in der Stadtplanung, in der Landschafts- oder kommunalen Grünraumplanung waren nicht Elemente von Urban Gardening und müssen erst langsam eingeführt werden. Eine der bekanntesten zum Urban Gardening zugeordneten Projekte, die „essbare Stadt Andernach“, ist in ihrer Genese aus den obengenannten Gründen entstanden. Die kommunale Bauleitplanung wurde vollständig verändert, die Kompetenzen von Grünflächen- und Fachämtern wurde zwar nicht reduziert, aber doch durch Bürgerengagement und die Mitwirkung etwa von vielen gesellschaftlichen Gruppen umgesetzt. Aber immer wieder wird deutlich, dass Urban Gardening vom aktuellen Engagement einzelner Personen abhängt und daher im Sinne der Nachhaltigkeit sehr kritisch zu beurteilen ist.
Nach Kenntnisnahme des vorliegenden Antrags müssen wir feststellen, dass leider bei den Antragstellern das „neue“ Urban Gardening eindeutig im Fokus steht. Während die bewährte und gefestigte Arbeit der Kleingärtner hier leider überhaupt nicht ausreichend gewürdigt wird.
Kleingärten sind – seit ihren Anfängen – integraler Bestandteil von Urban Gardening oder anders ausgedrückt, des Gärtnerns in der Stadt.
Alle Akteure des Urban Gardening haben ein gemeinsames Ziel: Grün in der Stadt zu erhalten und fortzuentwickeln. Deshalb darf Stadtentwicklung nicht ohne Umweltentwicklung geplant und umgesetzt werden.
Urban Gardening muss beachtet, berücksichtigt und gefördert werden.
Das Kleingartenwesen ist eine der ältesten Formen des urbanen Gärtnerns. So legten die Berliner Laubenkolonisten bereits im ausgehenden
19. Jahrhundert die Anfänge des Urban Gardening in unserer Stadt. Dabei stand damals die (eigene) Versorgung im Vordergrund, während heute Natur-erfahrungen und soziales Engagement eine große Rolle spielen. Integration gab es in den Kleingärten schon lange, bevor spezifische Formen der interkulturellen Gärten entstanden sind.
Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als wären die neuen, freien Formen des urbanen Gärtnerns ein Wider-spruch zur organisierten Struktur des Kleingartenwesens, so eint uns alle die Suche nach einem Stück Natur in der Stadt und der Wunsch, diese zu gestalten und langfristig auch für die nachfolgenden Generationen der Stadtbevölkerung zu erhalten. Insofern verstehen sich die Kleingärtner als integralen Bestandteil des Urban Gardening.
Seit einigen Jahren ist das Berliner Kleingartenwesen dabei, sich durch soziale, integrative aber auch ökologische Projekte der Öffentlichkeit zu öffnen und somit die Einbin-dung ins Quartiersmanagement zu forcieren. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Aber solche Kooperationen wie zum Beispiel zwischen der Schreberjugend und den Prinzessinnengärten zeigen ganz klar unsere gemeinsamen Interessen.
Urban Gardening ist vielfältig.
Es ist wichtig, Angebote für Menschen zu haben, die Berührung zur Natur suchen. Nicht nur die Wartelisten, sondern auch die verbindlichen Strukturen des Kleingarten-wesens werden manchmal als Hürde wahrgenommen, so dass auf andere Formen des Urban Gardening ausgewichen wird. Eine Entwicklung, die der Landesverband explizit begrüßt, denn so können Wartezeiten überbrückt und Erfahrungen gesammelt werden.
Die Bürger unserer Stadt möchten ihre Natur und Umwelt gestalten und somit trostlose Flächen „begrünen“. Aber ohne eine Struktur und ein nachhaltiges Konzept entsteht so (im besten Fall) ein interessantes, aber leider kurzlebiges Grün. Aber wenn es bei städtischem Grün um mehr als nur das individuelle Naturerlebnis gehen soll, reicht diese Form nicht aus.
Für die Kleingärtner bedeutet Grün eine langfristige Verpflichtung. Mit unseren Gartenfachberatern stehen wir allen interessierten Haus- und Kleingärtnern mit Rat und Tat zur Seite. So helfen wir dem Einzelnen, einen ökologisch wertvollen und für die Zukunft auch klima-relevante Gärten anzulegen, zu pflegen und zu erhalten.
Regeln und eine gemeinsame langfristige Perspektive sind Grundlagen für eine nachhaltige Nutzung von Allgemeingütern. Eine Problematik, die man nicht nur häufig bei Projekten der „essbaren Stadt“ feststellen kann, sondern die sich gewissermaßen auch beim Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld beobachten lässt. Hier hat sich aus dem freien Gärtnern mittlerweile eine Struktur entwickelt, die mit Verein, Satzung und Gartenordnung stark vom Kleingartenwesen inspiriert ist. Auch auf dem Tempelhofer Feld heißt es: „Wer mitgärtnern will, muss Mitglied des Vereins werden.“
Die Berliner Kleingärtner verstehen sich mit ihren Aktivitäten explizit auch als Klimagärtner. Maßnahmen des StEP Klima des AFOK werden bei uns bereits aktiv umgesetzt, und die Flächen der Berliner Kleingärtner entlasten das Stadtklima als klimatische Schutzzone, Schwamm-Flächen und Kaltluft-schneisen im Sommer. Urban Gardening mit Hochbeeten und Kübeln auf versiegelten Flächen kann diese Rollen nicht übernehmen. Die Kleingärtner wissen, wie wichtig Naturerziehung und -bildung ist, und unterstützen daher unter anderem seit Jahren das Projekt „Grün macht Schule“. 2017 fand der fünfte Berliner Schulgartentag unter reger Beteiligung der Kleingärtner und ihrer Fachberater in der Kleingartenanlage Am Kienberg statt.
Auch mit den Gartenarbeitsschulen besteht ein enger Austausch. Im Rahmen der Grünen Woche bieten die Berliner Kleingärtner den Gartenarbeitsschulen Platz für ihre Messe-Aktivitäten, und im Rahmen des Umweltpreises Berlin-Mitte wird regelmäßig auch der vom Landesverband Berlin der Gartenfreunde e.V. und dem Verlag W. Wächter gespendete Sonderpreis „Schulgärten“ vergeben.
In der Begründung des vorliegenden Antrags heißt es unter anderem: „Noch immer bestehen in Teilen der Verwaltung Berührungsängste gegenüber städtischem Gärtnern jenseits von Kleingärten.“
Leider hat man in manchen Bezirken und auch bei Teilen des Berliner Senats den Eindruck, dass in der Tat wenig Berührungsängste zu Kleingärtnern bestehen – vor allem, wenn es um die Gewinnung von Bauland geht. Die öffentlich zugänglichen und ökologisch wichtigen wie auch gepflegten Grünflächen der Kleingärtner werden noch immer und viel zu häufig in der Verwaltung als Bauerwartungsland statt als dringend benötigte Aktionsflächen für Klimakampf, soziale Integrationsorte und gesellschaftliche Begegnungs- und Entwicklungsstätten angesehen.
Die vielfältigen kreativen Formen von Urban Gardening auf den unterschiedlichsten, oftmals nur temporär zur Verfügung stehenden Flächen sind und wollen auch kein Ersatz für öffentlich nutzbares Grün sein, sondern eine Ergänzung dazu, die einerseits einen kreativen Umgang und Veränderung zulässt, andererseits die Möglichkeit nach selbst produziertem Gemüse oder den Ort für Kommunikation mit der Nachbarschaft ermöglicht.
„Genaugenommen ist Urban Gardening oder Urban Farming eine Facette von Kleingärten, Mietergärten, Grabeland oder Interkulturelle Gärten mit dem Trend, Kleinstgärten auch in den verdichteten Stadtteilen als Ausdruck der Bedürfnisse nach Grün und Lebensqualität und einer neuen Garten-Kultur der Stadt zu erleben“. (Zitat: Heiner Baumgarten, ehem. GALK-Präsident und Vorsitzender des GALK-Arbeitskreises Stadtplanung, in: Stadt + Grün, Heft 4/2015)