Gartenfachberaterin Elisabeth Schwab hat einen Kriterienkatalog erarbeitet und stellt ihn zur Verfügung
Naturnah oder einfach nur ungepflegt?
Zugegeben: Es ist mitunter ein schmaler Grat zwischen einem naturnahen und einem ungepflegten Kleingarten. Wenn eine Wildblumenwiese der Natur zuliebe seltener gemäht und im Hochsommer nicht bewässert wird, macht sie schon bald einen genauso traurigvertrockneten Eindruck wie die ausgedörrten Beete des Gartennachbarn, der nur alle paar Wochen nach dem Rechten schaut. Und auch wenn alles sprießt und grünt, lässt sich nicht immer sofort unterscheiden, ob die erkennbare „Artenvielfalt“ nun Ergebnis gezielter Pflanzenauswahl ist oder einfach nur Wildwuchs, der auf gärtnerischer Untätigkeit beruht.
Elisabeth Schwab, seit neun Jahren Gartenfachberaterin in der KGA Rathaus Treptow, lässt sich in dieser Hinsicht nichts vormachen: Aus langjähriger Erfahrung genügen ihr schon wenige Blicke in den Garten und sie kann widerlegen, wenn sich ein untätiger Gärtner plötzlich auf seine gewollte Naturverbundenheit beruft. „Es gibt deutliche Indizien, an denen man erkennen kann, ob ein Kleingarten bewirtschaftet wird oder unkontrolliert verwildert“, ist die Gärtnerin und studierte Landschaftsplanerin überzeugt. Denn der Zustand von Komposthaufen, Rasen bzw. Wiese oder Obstbäumen im Garten verrät mehr über die gärtnerischen Aktivitäten ihres Nutzers, als mancher denkt.
Über jeden Zweifel erhaben
Um sich und all jenen, die sich bei Gartenbegehungen mit dieser Unterscheidung auseinandersetzen müssen, die Arbeit zu erleichtern, hat Elisabeth Schwab jetzt die ihrer Meinung nach wichtigsten Kriterien zusammengetragen und in Zusammenarbeit mit Kimberley Hofer, der Gartenfachberaterin des Bezirksverbands Süden, ein Merkblatt verfasst, das online abgerufen werden kann (Download-Link am Ende des Beitrages). Mit ihm erhalten Gartenfachberaterinnen und -fachberater, aber auch Vorstände und aktive Vereinsmitglieder eine Handreichung für eine über jeden Zweifel erhabene Einschätzung der kleingärtnerischen Nutzung der Parzellen in ihrer Anlage. „Die Vorstellung davon, was einen gut bewirtschafteten Garten ausmacht, verändert sich gerade“, hat die gebürtige Fränkin beobachtet. Der herkömmlichen Meinung, nur ein unkrautfreies Beet mit schnurgeraden Gemüsereihen mache eine vorbildlich genutzte Parzelle aus, steht zunehmend die Überzeugung entgegen, dass auch die Natur ihren Raum im Kleingarten beanspruchen darf und sogar soll. „Wenn derart unterschiedliche Ansichten aufeinandertreffen, sind Reibereien an der Tagesordnung“, sagt Elisabeth Schwab.
Naturnah ist oft viel aufwendiger
Der Hauptvorwurf der Garten-Traditionalisten gegenüber den Naturgarten-Anhängern ist, sie würden es sich zu leicht machen und seien nicht bereit, Arbeit in die Pflege ihrer Beete zu investieren. „Aber genau das Gegenteil ist der Fall“, weiß sie aus eigener Erfahrung. Naturnahes Gärtnern bedeute beispielsweise, den Bewuchs von Beikräutern selektiv zu regulieren. „Dazu muss ich aber die Pflanzen kennen und bei jeder einzelnen entscheiden, ob sie im Beet bleiben darf oder nicht. Das Durchhacken einer Fläche ist da längst nicht so aufwendig“, findet sie, ohne damit die unterschiedlichen Gartenkonzepte als „richtig“ oder „falsch“ bewerten zu wollen. Vieles im naturnahen Garten unterscheidet sich vom herkömmlichen Kleingarten-Klischee: Hier gibt es in der Regel keinen offenen Boden. Alle Flächen sind bewachsen oder mit Mulch bedeckt, das schützt vor Austrocknung und bietet Insekten und anderen Tieren Unterschlupf, Nahrung und Brutstätte.
Kein "aufgeräumter" Eindruck" im klassischen Sinne
Weil er nicht nur Kultur-, sondern auch Wildpflanzen in großer Vielfalt beherbergt, macht ein naturnaher Garten nur selten einen im klassischen Sinne „aufgeräumten“ Eindruck: Es gibt „wilde Ecken“ mit Brennnesseln oder Haufen aus aufgelesenen Steinen oder aufgeschichtetem Totholz, in denen Igel, Vögel oder Hummeln nisten. Mitunter wird Pflanzenschnitt nicht kompostiert, sondern verbleibt als organischer Dünger im Beet. Kurz gesagt: Ein naturnaher Garten ist bunt, artenreich und für Puristen auf den ersten Blick vielleicht sogar chaotisch. „Was er aber niemals ist: unstrukturiert, verfallen oder zugemüllt“, betont Elisabeth Schwab, die in ihrer Praxis als Gartenfachberaterin auch derartige Parzellen kennengelernt hat – und mit ihnen die unterschiedlichsten Begründungen, warum der Garten so aussieht. Doch dass vieles dahintersteckt, nur kein naturnahes Konzept, wird im Gespräch meist sehr schnell deutlich: Wenn Ahornbäumchen im Beet wuchern, wenn sich dominante Wildkräuter unkontrolliert im Garten ausbreiten und die Obstbäume über lange Zeit nicht beschnitten wurden, dann sind das Anzeichen dafür, dass die Pächter dem Arbeitsaufwand zur Pflege ihrer Parzelle nicht gewachsen sein könnten.
Folgen fürs Image der Naturgärten
„Ungepflegte Gärten sind ein Ärgernis für den gesamten Verein. Aber vor allem schaden sie dem Ansehen der echten Naturgärten“, meint Elisabeth Schwab. Mit ihrem Merkblatt will sie eine klare Grenze ziehen. Und weil ein naturnaher Garten nach Überzeugung der beseelten Gartenfachberaterin eine deutlich höhere kleingärtnerische Kompetenz verlangt, bietet sie insbesondere Gartenneulingen im Verein Rat und praktische Unterstützung an und sucht auf Gartenseminaren und anderen Veranstaltungen immer wieder den Austausch und eigenes fachliches Fortkommen.
Auf einem dieser Treffen kam sie vor einigen Wochen auch mit ihrer Fachberater-Kollegin Kimberley Hofer ins Gespräch. Die war sofort begeistert von der ebenso praktischen wie hochaktuellen „Handreichung zur Gartenbegehung“ und hat die Tabelle jetzt auf der Seite der Fachberatung des Bezirksverbands Süden allen Gartenfreunden zur Verfügung gestellt.
Eines ist Elisabeth Schwab besonders wichtig zu betonen: Ihr Papier soll keine Checkliste sein, mit der man die Verwilderung oder Naturnähe eines Gartens bepunkten oder anderweitig messen kann. Ihr geht es darum, dass all jene, die Jahr für Jahr Kleingärten begehen und beurteilen, für das Thema Naturgarten sensibilisiert werden. „Wenn das Merkblatt erreicht, dass wir ins Gespräch kommen, die richtigen Fragen stellen und genau hinschauen, dann ist bereits viel für naturnahe Gärten getan.“
Fünf Merkmale eines naturnahen Kleingartens
1. Der Garten wirkt genutzt und nicht unkontrolliert verwildert.
2. Die Obstbäume sind beschnitten und abgeerntet.
3. Der Kompost ist bewirtschaftet oder es besteht ein alternatives Kompost-Konzept.
4. Naturnahe Elemente wie Totholz- oder Lesesteinhaufen, Brennnesselecken etc. sind erkennbar und klar abgegrenzt.
5. Altmaterialien oder andere Gegenstände, die ursprünglich nichts mit dem Gärtnern zu tun haben (Planen, Haushaltsgegenstände etc.), werden zweckbestimmt verwendet bzw. geordnet gelagert.
Elke Binas, Redakteurin Berliner Gartenfreund, Verlag W. Wächter
Die Handreichung „Naturnah oder ungepflegt?“ zum Herunterladen
Die Handreichung kann kostenlos beim Bezirksverband Süden herunterladen geladen werden: www.bit.ly/merkblatt-naturnah
Dieser Artikel ist in der April-Ausgabe 2024 der Verbandszeitschrift Gartenfreund, Regionalteil Berlin, Seite 26-27, erschienen und mit freundlicher Gehnehmigung des Verlags W. Wächter auch hier online.
Foto: Marion Kwart