Verfasst am 04.02.2021 um 12:00 Uhr

Kleingärten sind Refugien – für Mensch und Tier    

von Dr. Sarah Kiefer    

Sie kennen das: Endlich raus aus dem Stadtgetümmel und weg vom Lärm, weg von der Hektik, weg von den vielen Reizen, die einem den letzten Nerv rauben … und so fliehen Sie, so oft es geht, in Ihren Kleingarten und genießen dort die Stille und den Frieden. 


Was Sie intuitiv tun, ist auch objektiv betrachtet gut für uns Menschen: Immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen inzwischen, dass es gesund ist, sich „im Grünen“ aufzuhalten, und dass beispielsweise das Beobachten von Vögeln sogar Therapie sein kann (Näheres dazu im Online-Magazin „Die Flugbegleiter“ auf www.riffreporter.de). Da ich selbst begeisterte Vogelbeobachterin bin, weiß ich, wie beglückend es ist, morgens auf dem Weg zur Arbeit einem singenden Rotkehlchen oder Zaunkönig zu lauschen oder Kolkraben und Falken beim Frühstück zu beobachten. Da man jeden Morgen etwas entdecken kann, fängt so jeder Tag für mich ganz besonders an. Solche Erlebnisse haben Sie sicher auch in Ihrem Kleingarten. In Ihren Gärten sind viele Tier- (und Pflanzen-)Arten zu finden: Singvögel, von denen manche sogar dort brüten und ihre Jungen aufziehen und deren erste Flugübungen Sie beobachten können, Igel auf der Suche nach leckeren Käferlarven, Insekten, die oft eine wichtige Rolle als Bestäuber haben, manchmal vielleicht ein Fuchs oder ein Waschbär.


Aber was ist, wenn der süße Igel auf der Suche nach Nahrung Ihren Rasen zerlöchert oder das niedliche Eichhörnchen regelmäßig Ihre frisch angepflanzten Beete durchwühlt? Da hört dann schnell die Freundschaft auf.


Ich möchte Sie an dieser Stelle bitten, ein wenig Nachsicht mit Ihren wilden Nachbarn zu üben, denn für viele Wildtiere in der Stadt sind Kleingartenanlagen ein Rückzugsort. Sie finden dort Nahrung, Brut- und Nist-Möglichkeiten, geeignete Bedingungen, um ihre Winterschlaf-Nester zu bauen, und vieles mehr. Diese Rückzugsorte sind wichtig, denn Städte sind schwierige Lebensräume für Wildtiere. In dicht bebauten Gegenden sind besonders Zusammenstöße mit Autos eine häufige Todesursache: Die meisten Säugetiere sterben im ersten Lebensjahr durch Verkehrsunfälle.


Wie in anderen Städten auch werden in Berlin immer mehr freie Flächen zugebaut. Das nimmt vielen Tier- und Pflanzenarten den Lebensraum, und so werden Kleingärten immer bedeutender für die Erhaltung der Biodiversität. Die biologische Vielfalt nimmt durch den Einfluss des Menschen rapide ab: Zwischen 1970 und 2016 sind die Bestände von Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Reptilien und Fischen um 68 % zurückgegangen. Setzt sich die aktuelle Entwicklung ungehindert fort, wird das auch folgenschwere Konsequenzen für den Menschen haben, da viele Arten wichtige Aufgaben im Ökosystem übernehmen. Das zurzeit bekannteste Beispiel sind die Bestäuber.


Die Biodiversitätskrise zu stoppen, ist sehr wichtig und dringend. Seien Sie also nicht allzu sauer auf das Chaos produzierende Eichhörnchen oder den Igel, der Ihre Wiese zerlöchert, sondern freuen Sie sich, dass diese bei Ihnen leben können und dass Sie zum Erhalt der biologischen Vielfalt beitragen. Für einige Probleme, die Tiere verursachen, gibt es auch ganz einfache Lösungen: Schauen Sie doch beim nächsten Konflikt mal unter berlin.stadtwildtiere.de bei der Tierart in die Rubrik „Für ein gutes Miteinander“.


Dr. Sarah Kiefer

Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), Berlin

Projekt StadtWildTiere



Auswahl

https://berlin.stadtwildtiere.de/tiere/maulwurf
https://berlin.stadtwildtiere.de/tiere/schermaus 
https://berlin.stadtwildtiere.de/tiere/ringelnatter
https://berlin.stadtwildtiere.de/tiere/fledermäuse


Dieser Textbeitrag ist als Editorial der Februar-Ausgabe 2021 in der Verbandszeitschrift "Berliner Gartenfreund" erschienen. 

Fotos (Maulwurf, Igel, Ringelnatter): Pixabay